30. August 2013
Das Schönste ist das Geheimnisvolle
von Peter Züllig
(www.facebook.com/sammlerfreak)
Leider bin ich nicht nur ein Sammler- sondern
auch ein ausgesprochener Rätsel-Freak. Es ist
nicht ganz einfach wenn man den Drang hat, jedes Rätsel so rasch wie möglich zu lösen. Wenn es einmal gelöst ist, hat es seinen Reiz verloren, ist banal, alltäglich, kommun, reizlos geworden. Da kommt mir jedes Mal Albert Einstein in den Sinn: „Das Schönste, was wir erleben können, das ist das Geheimnisvolle“. Deshalb habe ich schon früh in meinem Leben Jagd auf Rätsel gemacht, habe sie gebraucht und verbraucht; sie bekamen – so schien mir - eine immer kleinere Halbwertszeit. Ich meinte, Rätsel könne man am Kiosk gekauft, am besten im Multipack.
Ich versuchte es mit dem Rubik-Würfel, dem dreifachen, dem vierfachen, dem fünffachen… Es dauerte ordentlich lang, aber ich habe das „Geheimnis“ gelöst, allein. Allerdings wurde ich fuchsteufelswild, als man mir – wohl aus purem Mitleid – eine Anleitung angeboten hat. Für Rätsel gibt es keine Anleitungen; Rätsel müssen gelöst werden, und im Lösen liegt das Erlebnis des Schönen, das Glücklichmachenden.Die Jagd nach neuen Rätseln hielt an, bis ich den Wein entdeckt habe. Auch da dauerte geraume Zeit bis ich merkte, dass der Weingenuss auch etwas mit meiner Rätselsucht zu tun haben könnte. Anfänglich suchte ich die Rätsel überall, nur nicht im Wein.
Der ist doch zum Geniessen da, zum Trinken, zum Sichfreuen, zum Erleben. Die Geheimnisse sind da (fast) alle schon längst gelöst, analysiert, in chemische Formeln gebracht oder sensorisch seziert: „reintönig, saftig, taninstreng, verborgene Beerenfrucht, zweifelhaftes Gleichgewicht, auffällig, schöne Tiefe, vollmundig….“ (Parker) Oder in einer weit fantasievolleren Sprache beschrieben: „fleischiger Gaumen, dahinfliessendes Extrakt, schokoladige Bitterkeit, cremige Textur, Grasigkeit, Nescafé in der Nase, Leder- und Korinthenanflüge, Weinparfüm…“ (Gabriel). Mitunter auch sachlich ernst, fast wie ein Gerichtsurteil: „altholzig, mürb-animalisch, kühl, reinsaftig, herb-pflanzlich, bitterlich-würzig, röstig, tabakig, spröd….“ (Hofschuster)
Sind sie wirklich gelöst, die Rätsel und Geheimnisse des Weins? Ist bereits in Worte gefasst, was ich zu ergründen hoffe und wage? Ausformuliert, was mir Genuss bereiten sollte? Es kommt mir vor, als gebe man mir – wohl wieder aus Mitleid – eine Anleitung. Es kommt mir meine oft leidvolle Erfahrung aus der Rätselsucht zu Hilfe. Genuss braucht keine Anleitung. Auch beim Weingenuss nicht. Genuss entsteht durch das, was für mich geheimnisvoll bleibt, durch das Unbeschreibliche, das in mir wirkt und weiterlebt.
So öffne ich auch heute einen Wein, den ich schon so oft getrunken habe, den ich kenne, den ich wohl auch beschreiben könnte. Ich tue es nicht, ich nehme mir Zeit, ich suche zu ergründen, mit allen Sinnen (auch mit dem Herzen) und spüre, es ist etwas vom Geheimnisvollen geblieben, oder neu aufgetaucht, oder zurückgekehrt. Darum werde ich den Wein wieder trinken, so lange, bis er alle Geheimnisse verloren hat, bis alle Rätsel gelöst sind. Das ist bis heute noch nie passiert. Sollte dies einmal sein, dann wird auch er – ob teuer oder günstig, ob berühmt oder unbekannt, ob hochgelobt oder gescholten - banal, alltäglich, kommun, reizlos… Dann aber liegt das wohl nicht am Wein, sondern an mir, der keine Zeit hat und kein Verlangen hat, sich einzulassen auf das Rätsel Wein.
NB. Aber – so höre ich jetzt raunen – damit ist das Problem mit „schlechten“ Weinen nicht gelöst. Doch – denn nur gute Weine enthalten Rätsel, die schlechten sind so banal, kommun, reizlos, dass auch ein Rätselfreak nichts mehr darin findet, was zu entschlüsseln ist.
Kommentar schreiben