Hanoi

23. Februar  2013

 

Hanoi

 

Wer mit dem Flugzeug in fremden Ländern ankommt, landet meist mittendrin, in der Nähe einer Stadt. Es findet keine Annäherung mehr statt an das Andere, an das Fremde. Die Zollschranken sind verblüffend ähnlich, geschäftige Beamte - von denen man nur gerade Augen und Stirn sieht - hantieren herum an  unserem Pass (und damit an unserer Identität) - für uns unsichtbar, fast schon beängstigend.

Dann die Betonlandschaft vor dem Flughafen, ein Gewirr von elegant geschwungenen Brücken und Hochstrassen. Taxi und Busse dicht aneinandergereiht, Menschen versperren den Weg, sie suchen etwas: das Gepäck, den Weg, ein bekanntes Gesicht, Orientierung.  Man meint, auf einer Baustelle gelandet zu, denn Flughäfen sind immer im Umbau. Die Welt ist so schnell geworden, dass dauernd  gebaut wird: Strassen, Pisten, Gebäude, Brücken... Dies ist in Hanoi nicht anders.

Dann die Fahrt auf der Autobahn oder Autotrasse ins Zentrum der Staat, vorbei an riesigen Werbetafeln,  die man mit einem flüchtigen Blick - trotz Fremdsprache - sofort einordnen kann: SHB - Saigon-Hanoi Bank, Kangaroo - THU NGA Hotel, Yamaha, Samsung....

Die Häuser verdichten sich entlang der Strasse. Einzug in die Stadt. Das Besondere wird wahrgenommen, das Gewöhnliche kaum. Hier sind es hohe Häuser, oft nur ein paar Meter breit, die wie Zähne dastehen, dicht nebeneinander gedrängt, Karies inbegriffen. Oder Mofas, Motrorfahrzeuge, in unglaublicher Dichte, die rechts und links vorbeirollen, beladen mit allem und mehr was man auf ein Mofa laden kann.

Und dann ist man da, wo die Stadt plötzlich wieder vertraut wirkt. Französische  Architektur, Prunkgebäude, ein Theater - später erfahre ich: es ist die Oper, es sind Luxusläden: Cucci, IWC..., eine riesige, beleuchtete Hotelfassade. Präsentieren ist wichtig. Kolonialstil, denkt man, und glaubt, so müssen eben Kolonialzeugen sein.

Die Altstadt ist nur ein paar hundert Meter entfernt. Eine andere Welt, die Welt des kleinen Handels, des pulsierenden Alltags, der verstopften Strassen, der stockenden Rikschas, der Touristen und aufdringlichen Verkäuferinnen und Verkäufer. "One Dollar, one Dollar..." Es ist anders als Zuhause, wir sind da, in einer für uns bizarren andern Welt. 

Es ist nicht einfach, sich zurechtzufinden im Fremden, dort wo Menschen ganz andere Rhythmen haben als wir gewohnt sind. Gelassenheit bei den Einheimischen (Leben sie da, oder sind sie auf Besuch? Ist dies ihr Alltag oder ein Festtag: Neujahr?) - Aufregung bei den Fremden, Stadtpläne sind verwirrend, Fixpunkte kaum auszumachen, alles ist fremd, Strassennamen schwer zu entziffern, die Namen schon gar nicht zu erinnern. Fremde Vokale, fremde Klänge.

Die Trottoirs sind nicht für die Passanten, sie sind längst belegt, von Waren, von Mofas, von kleinen Stühlchen, auf denen die Menschen hocken, nein kauern. Sie schwatzen, sie essen, sie leben von und im  Augenblick. Strassencafés am Boden ausgebreitet, Miniaturläden auf die Strasse expandiert.

Doch auch auf der Strasse ist kaum Platz für Fussgänger. Man schlängelt sich zwischen den Mofas durch, zwischen den fahrenden und abgestellten, zwischen den Rikschas und den Strassenverkäufern, ab und zu drängelt sogar ein Auto durch die engen Gassen.

Die tausend Kabel, die sich irgendwo vor, neben und an den Häusern zusammenfinden, sich zu Knäueln verstricken und irgendwie doch Strom und Telefon in die Geschäfte und Wohnungen bringen. Mitten auf einer Kreuzung - die Gasse ist hier ein, zwei Meter breiter - hat sich ein Gemüseverkäufer niedergelassen, er steht da, von vier Seiten erreichbar und meint wohl "good business here".

Im Reiseführer lese ich: "Die Altstadt, eine Mischung aus Kolonialarchitektur, ehemaligen Gemeindehäusern, chinesischen Läden, Pagoden und Tempeln." Ich ergänze: und staunenden, verwirrten und getriebenen Langnasen, die wohl gehört haben, dass dies die schönste Altstadt Vietnams ist, vielleicht nicht die schönste, sicher die lebendigste.

Peter Züllig