In eigener Sache... (Kolumne). Vierter Teil ab Dezember 2023

Zum ersten Teil der Kolumnen "In eigener Sache) (Sie erscheint in Abständen von ca. zehn Tagen auf der Frontpage der Website)

Zum zweiten Teil der Kolumne "In eigener Sache"
(ab Dezember 2020)

Zum dritten Teil der Kolumne "In eigener Sache"
                           (ab Dezember 2023)

09. Februar 2024

 

Die Entwicklung

von Peter Züllig

 

Vor 55 Jahren, am 9. Dezember 1969, ging das Atomkraftwerk Beznau I, nach gut vier Jahren Bauzeit ans Netz. Als junger Journalist war ich für das Schweizer Fernsehen mit einer Filmequipe dabei. Ich war begeistert, denn die Technik versprach: mehr Energiegewinnung, saubere Quelle, konstante Leistung, günstiger Strompreis… Der kleine Albert (Rösti) in Frutigen war gerade 28 Monate alt.

In der Folge habe ich noch einige Male als Reporter über die neu geschaffene Technik der Stromgewinnung berichtet. Die anfängliche Euphorie ist allmählich in Nachdenklichkeit übergegangen: radioaktiver Müll, Strahlungsrisiko, Abhängigkeit von Uranlieferanten (unter anderem Russland)… Probleme, die es rasch zu lösen gilt. Ansätze, Versprechen, Warten… Derweil wurden AKWs munter weitergebaut: Beznau II (fertiggestellt  1971), Gösgen (1979), Leibstadt (1985).

1975 formierte sich der Widerstand gegen ein weiteres (bereits bewilligtes) AKW in Kaiseraugst. Ich war wieder vor Ort. Der damalige Direktor vom AKW Beznau, Kurt Küfer, sagte vor der Kamera: «Bei der Einlagerung von radioaktiven Rückständen müssen zwei Komponenten gelöst sein. Eine technische und eine politische, psychologische. Die technische ist weitgehend gelöst. Was wir noch lösen müssen, ist die politische, psychologische Seite von diesem Problem.» (Das Filmdokument). Dies war 1975. Albert in Frutigen musste bald einmal in die Schule, er war fünf Jahre alt.

1979 ereignete sich in Harrisburg (USA) ein grosser Reaktorunfall, der noch knapp entschärft werden konnte. 1986 dann die grosse AKW-Katastrophe in Tschernobyl (Ukraine) mit schrecklichen Folgen. 1989 wurde das Projekt Kaiseraugst eingestellt. Albert in Frutigen war 20 Jahre alt, Student.

2011, Nuklearkatastrophe in Fukushima (Japan). Aus Albert in Frutigen ist ein 45-jähriger Politiker geworden. Das Müllproblem aber harrt  noch immer auf eine Lösung. Tausendmal angekündigt, versprochen, gelobt, weggeschoben. Gut 50 Jahre lang.  Albert ist jetzt Bundesrat: «Die Zeiten haben sich geändert, das Verbot neuer AKWs in der Schweiz (2017 mit 58 Prozent der Stimmen gutgeheissen) muss aufgehoben werden». Albert aus Frutigen hat sich – nach 57 Jahren - zum ideologischen «Diktator» gewandelt, der sich um Volksentscheide, bundesrätliche Versprechen und ein gutes Stück AKW-Geschichte foutiert.                                                                                                                    (296) 

30. August 2024

 

Nein Danke!

von Peter Züllig

 

Die aktuellen Themen für die Kolumne prasseln nur so auf den Schreiber ein: Olympiade, Biodiversität, Falschberechnung der AHV, Altersarmut. Aber auch ganz persönliche Dinge, Gesundheit, Spitalerfahrung, und natürlich der ungewöhnlich heisse Nachsommer. Doch einer hat es geschafft, dass ich all die angedachten und zum Teil schon formulierten Themen liegen gelassen habe: der Bundesrat. Wie die NZZ schreibt: die Rehabilitierung der AKWs. Es ist alles andere als eine «Rehabilitierung». Es ist ein Hauruck-Akt, wie Ideologie eine Demokratie zertrümmert. In den gleichen Hauptausgaben der Tagesschau von SRF (28. August 2024), in der die Kehrtwendung betreffend neuer AKWs von Bundesrat Albert Rösti (SVP) öffentlich verkündet wurde (Beitrag 3.34 Minuten, an der Spitze der Sendung) orientiert die Internationale Atom Energie Behörde (IAEA), dass das AKW in Kursk (Ukraine) in grösste Schwierigkeiten geraten könnte, Zitat: «Die Lage sei dramatisch ernst». Kursk liegt 2000 Kilometer (Luftlinie) von Bern entfernt, wo Albert Rösti seine Ideologie der AKW-Machbarkeit lächelnd präsentiert (sanktioniert von einer Mehrheit an Bücklingen im Bundesrat). «Die Situation sein eine andere geworden» und erwähnt den nahen Krieg in Europa. Schizophrener kann ein Bundesrat kaum vor die Presse treten und gleichzeitig mutwillig das Vertrauen in den Bundesrat (und die Werte der Demokratie) zerstören. Das hat nichts mit Versorgungssicherheit zu tun, als vielmehr mit Manipulation und Missachtung politischer Entscheide. Nein Danke!
Hier die bisher eingestellten Kolumnen                                                         (295) 

07. August 2024

 

Künstliche Intelligenz und
menschliche Dummheit

von Peter Züllig

 

Da hat man in den 70er Jahren – mit viel Intelligenz – einen Ferienort am Mittelmeer gebaut. Die Autos müssen (weitgehend) draussen bleiben. Ein ausgedehnter Parkplatzgürtel steht den Gästen zur Verfügung. Doch die Gier, grösser, noch grösser zu werden, knabbert immer mehr an den Parkplätzen. Erweitern kann man sie kaum, den jenseits des Gürtels sind längst neue, grössere Bauten entstanden. Also werden Schranken aufgestellt und die Plätze während der Saison bewirtschaftet. Doch dies löst das Problem nicht. Im Gegenteil: die Zu- und Wegfahrt der immer knapperen Abstellplätze wird erschwert und verlangsamt. Dazu kommen die Schwierigkeiten beim Auslösen der Autos: unterschiedliche Kreditkarten, mangelndes Sprachverständnis, zu wenig Kleingeld, defekte Apparate, Vandalismus… Angesichts dieser Misere hat man eine neue Idee: KI, künstliche Intelligenz. Die Autonummer wird nun bei der Einfahrt von einer Kamera erfasst, registriert und der Betrag bei der Ausfahrt auf der Kreditkarte abgebucht. Doch dies funktioniert – vor allem bei ausländischen Nummern - miserabel. Etwa bei jedem zehnten Auto öffnet sich die KI-gesteuerte Schranke nicht: Rückstau! Da auch das letzte Plätzchen belegt ist, die Autos kreuz-und-quer gestellt sind, läuft das Zeitlimit zur Ausfahrt immer wieder ab. Ein unvorstellbares Chaos entsteht. Abend für Abend. Verzweifelte KI-Lösung: Ein Barrieren-Wärter vor Ort – mit natürlicher Intelligenz – öffnet immer - wie einst - die lästige Schranke (oder lässt sie gleich offen!)                                                   (294) 

29. Juli 2024

 

Geld regiert die Welt

von Peter Züllig

 

Es ist eine lange Geschichte, die „Geschichte des Geldes“. Sie beginnt zehntausend Jahre vor Christus, als der Tauschhandel zur Vereinfachung ein „Warengeld“ einführte. Es bestand aus Muscheln, Getreide, Vieh, Kakaobohnen etc., alles Gegenstände, die sich messen, zählen, abwägen und vergleichen liessen. So entstanden durch die Jahrhunderte und Jahrtausende unterschiedliche «Tauschwerte», mit denen man «bezahlen» und die man auch aufbewahren konnte. Die Idee des Geldes (als Symbolwert) war geboren. Wichtig war – bei all den verschiedenen Formen und Ausprägungen – die Messbarkeit, Verständlichkeit, Akzeptanz, Vergleichbarkeit und Sicherheit, denn es entstanden bald einmal Systeme, in denen Geld selbst (und nicht eine Ware oder Dienstleistungen) zum Handels- und Tauschwert wurde. Systeme, in denen sich auch Betrug, Wucher, Spekulation, bewusste Täuschung etc. einnisteten konnten. Auch gesellschaftliche, politische, soziale Ereignisse und Zustände (Krieg, Armut, Seuchen, Erwerbslosigkeit etc.) nehmen (immer wieder) Einfluss auf die Verlässlichkeit des Geldes. -Inflation (zu viel Geld und zu wenig Güter und Dienstleistungen) oder Deflation (zu wenig Geld und Güter und Dienstleistungen) sind unsere ständigen Begleiter. Das «Fränkli» zieht sich immer mehr aus der Geld- und Wirtschaftsordnung zurück. Wandelt sich in unsichtbare Bits und Bytes, die bestenfalls noch auf Papier, meist nur noch digital () registriert wird. Das Geld ist fast unsichtbar geworden. Den Menschen abhandengekommen.  Es versteckt sich hinter Karten und – aus «Sicherheitsgründen» - hinter Codes. «Kulturwandel» nennen es die einen, andere verweigern diesen Wandel und viele – ich wette, es ist die Mehrheit – werden einfach mitgeschleppt in einem immer rasanteren Rennen um sich vermehrendes (oder verringerndes) Geld. Es gibt keine «Geldkultur» mehr, sondern nur die harte Realität von Gewinn und Verlust, von Reichtum und Armut, von Ratlosigkeit und Resignation. Wer dies (auch nur ansatzweise) begreifen will, lese eine Kurzfassung der «Geschichte» des Geldes, die auf «Wikipedia» (online Enzyklopädie) mehr als 12'000 Wörter umfasst, auf 32 Seiten. So kompliziert einfach ist Geld geworden.                                                                                               (293)     

10. Juli 2024

 

Hopp Schwiz

von Peter Züllig

 

Da reisen Tausende, ja, Zehntausende Schweizerinnen und Schweizer nach Köln, Stuttgart, Düsseldorf, Berlin… Freiwillig. Ein rot-weisses Heer, nur um dem Kampf von 12 (und ein paar mehr) „Helden“ beizuwohnen. Dabei zu sein, wenn diese antreten, gegen andere „Helden“, meist viel grössere Nationen: Deutschland, Schottland, Ungarn, Italien, England und… Nein, dieses Mal war es vorbei. Ein dummer Ball war dumm ins falsche Tor gerollt, geflogen. Die Truppe aus Söldnern (sie stehen sonst im Sold eines Klubs, irgendwo in der Welt) muss heimkehren in ihren „Berufsalltag“, der in diesem Fall „Fussball“ heisst. Verbunden  – nebst dem Beruf als Sportler – nur durch den gleichen Pass, das gleiche Attest, Schweizer zu sein. Doch sie stehen, immer wieder ein paar Tage, ein paar wenige Wochen, auf einer Bühne der Welt. Bewundert, angefeuert, beschimpft, gejagt, beschrien… Auf einem Rasen (68x105 Meter), wo es um Sieg oder Niederlage geht. Es gewinnt oder verliert (nach festen Regeln) nicht nur eine (immer wieder anders zusammengestellte) Truppe, sondern auch eine ganze Nation. Und diese „leidet“ oder „jubelt“ mit. Die Tausenden, die aus der Schweiz angereist sind, Millionen am Bildschirm und auch viele, die sich sonst nicht  um Sport, nicht um Fussball kümmern. „Hopp Schwiz“. Ein Ball und ihre Akteure werden zum Identifikationsobjekt eines Landes, einer Nation? Blödsinn? Vielleicht! Vielleicht aber auch ein Hinweis, wie Politik (nach festen Regeln), wie Identifikation (mit klaren Bekenntnissen), wie Zusammengehörigkeit (mit geeinten Kräften), funktionieren könnte. „Hopp Schwiz“, nicht nur ein Slogan, durchaus auch eine vernünftige (und erfolgreiche) Idee.              (292) 

Hier die bisher eingestellten Kolumnen        

20. Juni 2024

 

Aus der Welt des Kriegs

von Peter Züllig

 

Mehr als halbes Leben (es waren ziemlich genau 60 Jahre) habe ich im, am und mit dem Fernsehen gearbeitet, berufsmässig, täglich, stundenlang. Da gewöhnte ich mich an schockierende Bilder. Auch, wenn sie einen realen Hintergrund haben. Auch wenn sie – sofern nicht fiktional – Abbilder, Momente der Wirklichkeit sind. Zumindest jene Bilder, die mich (als Journalist) beschäftigen, berühren, betreffen, mit denen ich immer wieder gearbeitet habe, während den Berufsjahren. Nun hat mich aber ein Bild privat getroffen, verletzt – schockiert. Zwei Personen (der eine dunkel gekleidet, gestriegelt) mit unwürdig roten Köpfen, rangeln sich mit bewaffneten Polizisten in Uniform auf oder bei der Treppe des Bundeshauses. Der eine geht sogar zu Boden. Empört rufe ich vor dem Bildschirm aus: «Pfui», «das geht gar nicht», «die müssen ausgesperrt, ausgeschlossen werden». Etwas, was ich (glaube ich) noch nie vor dem Bildschirm getan habe. Laut Empörung zeigen, Urteil fällen. Noch hatte ich keine Ahnung, wer die beiden waren und warum sie sich so unwürdig benommen haben. Ob Randfiguren oder Beamte, ob Gäste oder Parlamentarier? Der spontane Schock (Schocks sind immer spontan) löst sich beim Nennen der Funktion der beiden Herren, wechselt in Wut. Es sind Parlamentarier, der eine sogar Fraktionspräsident einer Partei, gewählte Vertreter, die hier sind, um über den Weg und das Wohl der Schweiz zu bestimmen. Es folgt die gedankliche Verarbeitung der Bilder und ihrer Hintergründe: ein absolutes «No-Go». Auch nach der halbherzigen Erklärung der beiden: «Passiert in der Hitze des Gefechts».  Das Bild passt, es ist ein Bild aus der Welt des Kriegs.                                                     (291)

12. Mai 2024

 

Arm und Reich

von Peter Züllig

 

Begriffe aus dem Klassenkampf. Umverteilung mit Gewalt. Das ist bisher noch immer schiefgelaufen. Im besten Fall wurden die Armen reich und die Reichen? Nicht arm, vielleicht etwas weniger reich. Da beginnt das Problem. Was ist arm, was ist reich? Anders ausgedrückt: Was können wir uns leisten, mit dem Geld, das zur Verfügung steht? Und wer bestimmt das «Verfügungen», das «Sich-leisten-können»? Wo ist die Grenze zwischen Arm und Reich? Gibt es da Normen, Zahlen, Werte? Reichtum und Armut sind längst privatisiert, der Öffentlichkeit, dem Vergleich entzogen. Verhältnismässigkeit – in der Politik sonst hoch gehandelt – hat da ihre Gültigkeit verloren. Nicht einmal der „Gesunde-Menschenverstand“ kommt zum Zug, weder bei den Reichen noch bei den Armen. Geht einmal etwas schief – wie bei der 13. AHV-Rente – da bricht ein Geschrei los: „Das können wir uns nicht leisten“! Richtig! In einem System, in dem die „Armen“ immer ärmer und die „Reichen“ immer reicher werden geht die Rechnung nie auf! Da kam die neue „unbezahlbare“ Rechnung – für die professionellen Angstmacher – gerade zur richtigen Zeit: die Initiative zur Deckelung der Prämien für die Krankenversicherung. Diesmal hat  das Argument des „Sich-nicht-leisten-Könnens“ gezogen. Abgefedert durch das vage Versprechen, die in Schieflage geratenen „Verhältnismässigkeit“ mit „Geschenken“ (Prämienverbilligung) zu regulieren: auf spezielle Bitte, Offenlegung und amtlicher Prüfung des Einkommens und Vermögens. Wie ein Hohn dazu wirkt die Statistik: "Die 300 Reichsten des Landes wiesen letztes Jahr ein Vermögen von 822 Milliarden Franken aus1. Da kann man sich eben etwas mehr leisten.        (290)   

22. Mai 2024

 

Rentabel

von Peter Züllig

 

Alles ist gross, grösser, weiter, inzwischen sogar weltweit geworden… Aus dem «Laden um die Ecke» wurde ein Einkaufszentrum, aus der Strasse eine Autobahn, aus dem Bahnhof ein Verkehrsknotenpunkt… Der Dorfladen (wo es ihn noch gibt) bietet Früchte und Gemüse an, aus Brasilien, Mexiko, Südafrika… Doch auch der Dorfladen ist nicht mehr ein «Dorfladen», sondern das Glied der Kette eines Grosskonzerns, der sich längst von der genossenschaftlichen Idee seiner Gründer verabschiedet hat… Gewachsen, gewachsen, rentabel, rentabel geworden... Etwas ist nicht gewachsen: der Mensch, für den diese «gewachsene» Welt eingerichtet wurde. Er  ist immer noch (durchschnittlich) 1.75 Meter gross und kann einer Lebenserwartung von etwa achtzig Jahren rechnen. Das ist viel zu klein für die von ihm so rentabel gemachten Welt. Die Diskrepanz zwischen der Grösse des Menschen und jener der rentabel gemachten «Welt» wird sicht- und erlebbar auf den Flughäfen, wie sie gebaut wurden und immer wieder erweitert werden. Da ist unser Zeitalter zu spüren: das Zeitalter des Gigantismus. Anonymität inmitten von Menschenströmen, geprägt und geleitet von Elektronik, Symbolen, Rentabilität, langen Wegen, Schranken und Sicherheitseinrichtungen… Vollgestopft mit Menschen, die es eilig haben und dauern etwas suchen: den richtigen Ort, den richtigen Eingang, die richtige (natürlich automatische) Einrichtung, die richtigen Wege, den richtigen QR-Code… Ein falscher Schritt und anonyme Stimme schreit irgendwoher: Stopp. Dann bricht der Gigantismus zusammen und ein kleiner (aber zuständiger Mensch) muss das Problem der Irrung und Verwirrung lösen, nach menschlichem Mass. Ohne rentabel zu sein.                   (289) 

Hier die bisher eingestellten Kolumnen          

09. Mai 2024